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Schwarz-gelbe Friedensinitiative Die Burnout-Koalition

Und ewig lockt der Neuanfang: Union und FDP raffen sich zu einem neuen Versuch auf, ihr Bündnis zu stabilisieren. Bei Steuersenkungen ist man sich zwar plötzlich einig - doch die innere Sicherheit und persönliche Nickeligkeiten belasten die Ex-Wunschkoalition.
Parteichefs Rösler, Merkel: "Gegenseitiger Interessenausgleich"

Parteichefs Rösler, Merkel: "Gegenseitiger Interessenausgleich"

Foto: dapd

Berlin - Früher hat es wenigstens Steak tartare gegeben. Im ersten Winter der Koalition, da haben sie den Neustart noch gefeiert im Nobelrestaurant: die Kanzlerin und ihre Koalitionspartner. Da haben sie noch daran geglaubt, dass es besser wird. Es wurde nicht besser.

Etliche Neustarts folgten. Alle scheiterten. Im 21. Monat dieser Koalition steht das N-Wort längst auf dem Index. Zu abgenutzt. Zu pathetisch für dieses verblasste Ex-Wunschbündnis.

Aber miteinander die Krise bereden? Muss man ja trotzdem. Also anderes Wording. Man werde den "Arbeitsplan dieser Koalition" demnächst besprechen, richtet Regierungssprecher Steffen Seibert aus. "Arbeitstreffen", sagt auch FDP-Chef Philipp Rösler, vor kurzem selbst noch der personifizierte Neustartversuch. Es dauerte aber nicht lange, da bemerkte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hintersinnig, Rösler sei "nicht nur überaus sachkundig und liebenswürdig, sondern hat auch ein hohes Maß an Humor". Heißt übersetzt: harmlos.

Bayerns Anarch flötet von Harmonie

Nun wollen sich Angela Merkel, Horst Seehofer, Philipp Rösler und ihre Fraktionschefs noch vor der Sommerpause zusammensetzen, um wieder einmal den Aufbruch miteinander zu versuchen. Im Vorfeld müht man sich, gute Stimmung zu machen. Die FDP darf sogar den alten Klassiker von den Steuersenkungen ungestraft anspielen: Man müsse "in der Regierungskoalition zügig eine Steuerentlastung verabreden, die noch in dieser Legislaturperiode bei den Bürgern ankommt", forderte Rösler im SPIEGEL. Anders als in früheren Zeiten: kein Widerspruch aus der Union. Und Regierungssprecher Seibert kündigte an, eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommen könne "Teil des Arbeitsprogramms der nächsten Monate" werden.

Schaut an. Raufen sich da drei Partner doch noch zusammen? Vielleicht ist es die letzte Chance für die schwarz-gelbe Truppe. Wie ernst die Lage mittlerweile ist, lässt sich beobachten an Horst Seehofer, dem Springinsfeld dieser Koalition; plötzlich versucht er sich als Harmoniestifter in Berlin: "Wer noch alle Sinne beieinander hat, kann nur dafür kämpfen, dass diese Regierung im Endergebnis Erfolg hat", versicherte er jetzt via "Financial Times Deutschland". Es gebe eine "Bereitschaft zum gegenseitigen Interessenausgleich", flötete der bayerische Anarch.

Liebe deinen Nächsten. Die Union reicht die Hand zur Versöhnung.

So scheint es zumindest. Die Liberalen sind misstrauisch. Auch das sagt eine Menge aus über den zerrütteten Zustand dieses Bündnisses. In der FDP-Spitze haben sie sich das Seehofer-Interview genau durchgelesen - und festgestellt, dass der Bayer ganz nebenbei schon mal eine Agenda für das vermeintliche Versöhnungstreffen ausgebreitet hat. "Jetzt gehen wir die nächsten Projekte an", hatte Seehofer gesagt: "Innere Sicherheit, Haushalt, Steuern, Pflege, Fachkräfte, Euro. Das muss alles erledigt werden."

Gegenseitiges Misstrauen sitzt tief

Ausgerechnet das umstrittene Themenfeld innere Sicherheit ganz vorn beim Versöhnungstreffen? Umgehend reagierte FDP-Generalsekretär Christian Lindner mit einer eigenen Themenreihenfolge für den Friedensgipfel: Steuern, Fachkräftemangel und erst an dritter Stelle nannte er Innen- und Rechtspolitik. Ein Signal, dass die liberale Spitze mit Seehofers Abfolge nicht übereinstimmt. Parallel wird hinter den Kulissen auf verschiedenen Fachebenen über mögliche Themen gesprochen. "Ein bisschen mehr Gelassenheit und Zutrauen bitte", kontert man in der Union - und vergisst nicht zu erwähnen, dass FDP-Generalsekretär Lindner die Anti-Terror-Gesetze neuerdings gern Pro-Geheimdienst-Gesetze nennt.

Das Misstrauen sitzt tief. Und immer wieder liefern sich die Partner neue Gründe dafür.

  • In Sachen Atomausstieg fühlt sich die FDP von der Kanzlerin missachtet, die um die Zustimmung der Opposition wirbt. Zugleich lassen Unionskreise aus dem Koalitionsausschuss durchsickern, wie die Kanzlerin Rösler in der Atomdebatte angeblich auflaufen ließ.
  • Bei den zur Verlängerung anstehenden Anti-Terror-Gesetzen, die den Nachrichtendiensten eine Fülle von Befugnissen übertragen, blockiert bisher beharrlich FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Während Innenpolitiker der Union gegen die Liberalen wüten, macht CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich zumindest ein Angebot: "Eine regelmäßige Überprüfung der Anti-Terror-Gesetze ist kein Problem. Wir können sie auch gern auf vier Jahre befristen." Doch eine Einigung ist weiter ungewiss. Nur eines ist klar: Verständigen sich Union und FDP nicht, treten die Gesetze im Januar außer Kraft.
  • Während die Kanzlerin selbst Druck macht und eine rasche Einigung auf ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung anmahnt, bleibt Leutheusser-Schnarrenberger auch hier bei ihrer Linie, kritisiert die "Datensammelwut" des Staates. Dieses Thema wird möglicherweise nicht auf der Agenda des Versöhnungsgipfels stehen, da die endgültige Position der EU zur Vorratsdatenspeicherung noch aussteht. Ein eleganter Vorwand, um koalitionsinternen Ärger zu umgehen.
  • Dass Merkel mit Blick auf neue Milliardenhilfen für Griechenland nun nur noch eine freiwillige Beteiligung privater Gläubiger fordert, ruft in den Reihen der Regierungsfraktionen Verärgerung hervor. Bei der Abstimmung im Bundestag droht der Aufstand der Frustrierten, die Euro-Rebellen in FDP und Union sammeln sich, die Kanzlermehrheit ist in Gefahr. Sogar Seehofer selbst macht in dieser Sache Druck: "Jetzt ist die Zeit für den Beginn einer Beteiligung privater Gläubiger gekommen."

Es ist eine verworrene Lage, mit der die Koalitionspartner konfrontiert sind: Mal geht es gegeneinander, mal lähmt innerparteilicher Zoff. Der schwarz-gelbe Motor läuft nicht rund. Klar ist: Wer kein Vertrauen zueinander aufbaut, ist politisch schnell überfordert. Die Koalition des permanenten Neuanfangs ist längst ausgelaugt. Man hat sich aneinander wundgescheuert. Mal bricht der ganze Ärger aus den Protagonisten heraus - etwa wenn sich CSU und FDP als "Wildsau" und "Gurkentruppe" verspotten wie im Sommer 2010; mal köchelt er vor sich hin - siehe die spitzen Bemerkungen Schäubles über Rösler.

Auf den vorerst letzten großen Neuanfang folgte der Herbst der Entscheidungen mit der Atom-Laufzeitverlängerung. Groß angekündigt, rasch durchgeboxt, mittlerweile wieder zurückgeschraubt. Das soll ihnen nicht noch einmal passieren, haben sich die Koalitionäre vorgenommen. So sind sie bemüht, dass das Treffen der großen Drei und ihrer Hintersassen nicht medial überhitzt wird, quasi als Auftakt zum Sommer der Entscheidungen. Bloß nicht.

FDP-Manager Lindner sagt, die Zusammenkünfte von Partei- und Fraktionsspitzen sollten zur Routine werden, in denen die Koalitionäre regelmäßig strategische Leitlinien weiterentwickelten. Nur nicht zu hoch hängen. Das sagt auch ein Unionsstratege.

Und er fügt an: "Dann hat auch der Neue im Bunde die Möglichkeit, da ein bisschen reinzuwachsen." Gemeint ist Philipp Rösler.