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Stuttgart 21: Widerstand gegen ein Jahrhundertprojekt

Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP

Bahn-Prestigeprojekt Ramsauer spielt Kritik an Stuttgart 21 herunter

In einem internen Papier distanziert sich das Verkehrsministerium von Stuttgart 21 - nun behauptet Ressortchef Ramsauer, es handele sich um "Einzelmeinungen aus der unteren Ebene meines Ministeriums". Doch es gibt Erklärungsbedarf, die Opposition fordert zügig Aufklärung.

Stuttgart - Vor dem Hintergrund heftiger Experten-Kritik an Stuttgart 21 spielt der Bund die Debatte über den Zustand des Milliardenprojekts herunter. Von einer Dienstreise aus Bagdad meldete sich eilig Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. "Das ist Quatsch", sagte der CSU-Politiker zur Aufregung um das zum Teil veröffentlichte interne Papier aus seinem Ministerium, in dem neue Bedenken gegen das seit Jahren umstrittene Bauvorhaben geäußert werden.

"Der Vermerk aus meinem Ministerium ist ein alter Hut. Es handelt sich hier um Einzelmeinungen aus der unteren Ebene meines Ministeriums", sagte Ramsauer dem ZDF am Rande einer Wirtschaftskonferenz in der irakischen Hauptstadt. Dieser Einschätzung schloss sich auch der Sprecher des Bahnprojektes, Wolfgang Dietrich, an.

Auch ein Sprecher Ramsauers versuchte, die Diskussion wieder einzufangen: "Dem Bund geht es um eine offene Debatte." Das bedeute aber kein "Abrücken vom Vorhaben selbst". Als Eigentümer der Bahn müsse der Bund allerdings "sicherstellen, dass Schaden vom Unternehmen DB AG abgewandt wird."

Es gehe bei dem Dossier "um alle hinlänglich bekannten Fakten und Probleme. Einschließlich der erst kürzlich bekannt gewordenen Kostensteigerungen bei S21", heißt es in der Stellungnahme des Verkehrsministeriums weiter.

In dem Papier werden auf 15 Seiten massive Zweifel an Stuttgart 21 formuliert, das nach aktuellem Stand mindestens 6,8 Milliarden Euro kosten soll. Erhebliche Zweifel gibt es an der bisher geplanten Fertigstellung bis zum Jahre 2021. "Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind zu schwach", heißt es in dem Papier.

Kretschmann: "Wir eröffnen keine Ausstiegsdebatte"

Aufsichtsräte des Staatskonzerns kamen an diesem Dienstag in Berlin zu einem Workshop über die Kostenexplosion des bislang auf 4,5 Milliarden Euro kalkulierten Vorhabens zusammen. Der Termin für die nächste reguläre Aufsichtsratssitzung, bei der über die Übernahme der Mehrkosten entschieden wird, steht noch nicht fest.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte sich vorsichtig über das Prestigeprojekt. "Wir eröffnen keine Ausstiegsdebatte", sagte der Regierungschef am Dienstag in Stuttgart. Die grün-rote Landesregierung fühle sich an das Ergebnis der Volksabstimmung gebunden, bei der sich eine Mehrheit gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Milliarden-Bauvorhabens ausgesprochen hatte.

Kretschmann machte aber klar, dass das Land nicht mehr als die vorgesehenen 930 Millionen Euro zahlen werde. Schließlich sei dies eine freiwillige Leistung, denn der Bau von Schienen und Bahnhöfen sei Sache des Bundes beziehungsweise der Bahn. Zum Dossier selbst äußerte er sich nicht. Er kenne es nicht.

Özdemir fordert Klartext

Seine Parteikollegen äußerten sich da schon wesentlich deutlicher. "Bundesregierung und Bahn müssen das Katz-und-Maus-Spiel mit der Öffentlichkeit endlich beenden und alle relevanten Dokumente offenlegen", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir zu SPIEGEL ONLINE.

Özdemirs Parteifreund Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundestagsverkehrsausschusses, verlangte im Bayerischen Rundfunk, im Zweifel lieber jetzt auszusteigen. Bei den Kosten geht Hofreiter sogar von bis zu 11,3 Milliarden Euro aus.

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, forderte eine externe Untersuchung der Mehrkosten beim Bahnvorhaben Stuttgart 21. "Als erstes muss die Wirtschaftlichkeit des Projektes durch den Bundesrechnungshof als neutrale und qualifizierte Institution überprüft werden", sagte Künast am Dienstag. Die Deutsche Bahn müsse zudem die ganze Wahrheit für Parlament, Projektpartner und die Öffentlichkeit auf den Tisch legen. Eine Aufsichtsverantwortung wahrnehmen müsse auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Sonst erleben wir ein zweites finanzielles Desaster wie beim Berliner Flughafen BER."

Die SPD forderte belastbare Berechnungen zur Finanzierbarkeit. Für die Entscheidung, ob das Vorhaben noch umsetzbar sei, müsse auch ein realistisches Ausstiegsszenario berechnet werden, sagte der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sören Bartol, der Nachrichtenagentur dpa. "Dazu muss der Aufsichtsrat unabhängige Experten beauftragen, die die Zahlen der Bahn überprüfen." Eine Entscheidung dieser Tragweite könne zudem nicht getroffen werden, ohne vorher mit den anderen Projektpartnern gesprochen zu haben.

"Wenn die Mehrkosten so weit steigen, dass das Projekt für die Bahn unwirtschaftlich wird, handelt der Aufsichtsrat mit einer Zustimmung grob fahrlässig", warnte Bartol. Auch der Bundestag müsse sich vor der Aufsichtsratsentscheidung mit den Zahlen beschäftigen können.

als/dpa
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