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Interview zur NSA-Affäre "Überwachung ist wie Radioaktivität"

Er ist einer der bekanntesten Bürgerrechtsaktivisten Deutschlands: Im Interview spricht Rechtsanwalt Udo Vetter über das Ausmaß der NSA-Spitzelei, den Sinn von Geheimdiensten und die Chancen seiner Piratenpartei bei der Bundestagswahl.
Daten im Computer: "Wir reden hier von dem vollständigen Verlust der Privatsphäre"

Daten im Computer: "Wir reden hier von dem vollständigen Verlust der Privatsphäre"

Foto: KACPER PEMPEL/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Herr Vetter, eigentlich müssten Sie Edward Snowden zum Ehrenvorsitzenden der Piraten machen. Ohne ihn und seine Enthüllungen wäre Ihre Partei, die vor allem für Internet-Themen steht, doch vollends erledigt.

Vetter: Die Situation der Piraten hat sich mit dem NSA-Skandal deutlich verbessert. Ich würde also nicht zögern, Snowden den Ehrenvorsitz anzutragen. Aber er hätte weitaus mehr verdient. Meiner Meinung nach hat er sich weltweit um Frieden und Freiheit verdient gemacht, er wäre ein klarer Kandidat für ein Bundesverdienstkreuz.

SPIEGEL ONLINE: Er bekommt aber noch nicht einmal Asyl in Deutschland.

Vetter: Was mir unverständlich ist. Natürlich hätte die Bundesregierung rechtlich die Möglichkeit, ihm eine Aufenthaltsgenehmigung zu gewähren. Snowden ist einer der größten Enthüller, die es in der Geschichte je gegeben hat, historisch nur vergleichbar mit Mark Felt und Watergate.

SPIEGEL ONLINE: Hat Sie das Ausmaß der amerikanischen Spionage überrascht?

Vetter: Ich muss mir vorwerfen, dass ich es früher hätte wissen können. Es gab ja vereinzelte Berichte, die erahnen ließen, was die Geheimdienste treiben. Aber die Dimension der totalen Überwachung, die wir erreicht zu haben scheinen, hat mich entsetzt. Wir müssen endlich dagegen angehen.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Vetter: Was da stattfindet, geht an die Substanz unserer Verfassung. Hier werden Grundrechte, die das Wesen unserer Demokratie ausmachen, außer Kraft gesetzt.

SPIEGEL ONLINE: Der Bundesinnenminister empfiehlt den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Jeder einzelne soll nicht mehr so viel von sich im Netz preisgeben.

Vetter: Das ist lächerlich. Es geht doch nicht nur darum, was ich selbst mitteile, sondern beispielsweise auch darum, was mein Arzt über mich an die Krankenversicherung schreibt oder was die Polizei in Köln den Kollegen in Berlin zu meiner Person übermittelt. Behörden, Verbände und Unternehmen verschlüsseln ihre Mails ja ebenfalls nicht. Die Freiheit der Kommunikation ist keine Kleinigkeit, wir reden hier von dem vollständigen Verlust der Privatsphäre.

SPIEGEL ONLINE: Ist der Angriff auf unsere Privatsphäre ein feindlicher Akt der USA?

Vetter: Wenn ein Land flächendeckend überwacht wird, halte ich das für inakzeptabel, gerade unter vermeintlich befreundeten Nationen. Der Staat hat diese Ausspähung zu verhindern und die Grundrechte seiner Bürger zu schützen. Dazu kann er sich der Strafgesetze bedienen oder muss diplomatischen Druck ausüben. Es ist an der Zeit, den USA die Krallen zu zeigen.

SPIEGEL ONLINE: Die meisten Deutschen scheinen weniger empört zu sein als Sie.

Vetter: Bei vielen Menschen ist Resignation spürbar, die Vorgänge sind sehr komplex. Aber Überwachung ist wie Radioaktivität, die verheerenden Folgen zeigen sich nicht sofort. Das Bewusstsein für das Problem wird wachsen.

SPIEGEL ONLINE: Sie als Anwalt müssten besonders an einer sicheren Kommunikation interessiert sein. Verhalten Sie sich inzwischen anders?

Vetter: Das Schlimme ist, dass ich eigentlich nur noch persönliche Gespräche mit meinen Mandanten führen dürfte. In der Praxis ist das aber ähnlich schwierig, wie mit jedem stets verschlüsselte Mails auszutauschen. Das zeigt auch, wie dringend der Staat handeln muss, der Bürger alleine ist hilflos gegen die Überwachung.

SPIEGEL ONLINE: Ganz grundsätzlich: Brauchen wir Geheimdienste?

Vetter: Wenn sie ein solches Eigenleben entwickeln, wie es derzeit den Anschein hat, sollten wir auf sie verzichten. Sie sind dann eine Bedrohung für die Demokratie.

SPIEGEL ONLINE: Der BND versichert, nach Recht und Gesetz zu handeln. Sind Sie anderer Auffassung?

Vetter: Für mich ist es eindeutig, dass das G-10-Gesetz nicht gestattet, massenhaft Verbindungsdaten zu speichern. Im BND-Gesetz wiederum findet sich seit 2009 der Passus, demzufolge das Anlegen jeder Metadaten-Datei vom Kanzleramt genehmigt werden muss. Dass die Regierung jetzt von nichts gewusst haben will, ist für mich schlichtweg nicht glaubhaft.

SPIEGEL ONLINE: Lassen Sie uns auf den Sinn von Geheimdiensten zurückkommen. Wenn wir sie tatsächlich abschaffen, könnte der Preis dafür sein, dass Menschen bei Anschlägen sterben. Immerhin haben die Agenten Attentate in den USA, in Europa und in Afghanistan verhindert.

Vetter: Es gibt keine absolute Sicherheit - mit den Diensten oder ohne sie. Aber Sie haben recht: Wir müssen ehrlich darüber diskutieren, was uns unsere Freiheit wert ist. Meiner Meinung nach können wir uns keine Nachrichtendienste leisten, die sich über Grundrechte hinwegsetzen. Der Zweck heiligt hier definitiv nicht die Mittel. Da sollten wir uns enge juristische Grenzen setzen.

SPIEGEL ONLINE: Die Themen der Piraten sind mit der Prism-Debatte in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Warum kann die Partei in Umfragen bislang so wenig Kapital daraus schlagen?

Vetter: Unsere Werte haben sich noch nicht deutlich verbessert, aber der völlige Niedergang ist ebenso wenig erkennbar. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch deutlich zulegen. Wir sind die einzige Partei, die sich die Finger nicht schmutzig gemacht hat und auch in Zukunft in Sachen Datenschutz und Bürgerrechte eine ganz klare Position vertreten wird.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn es nicht klappt mit Ihrem Bundestagsmandat?

Vetter: Dann wird mich das nicht umhauen.

Das Interview führte Jörg Diehl