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Fotostrecke

Stefan Glowacz: Abenteuer in der Einsamkeit

Foto: Gerhard Heidorn/Stefan Glowacz Expeditionen

Fotoband über Extrembergsteigen Höhenrausch in Bildern

Extremtouren in Patagonien, Kanada und Nepal: Ein neuer Bildband des Kletterers Stefan Glowacz berichtet von Expeditionen zu Steilwänden, die kein Mensch vorher bestiegen hat. Das Buch hat bemerkenswert viele nachdenkliche Momente - und ist ein Plädoyer für mehr Kreativität auf Reisen.

Drei ausgezehrt wirkende Männer mit Bärten und Augenringen stehen an der Kasse eines Lebensmittelladens, vor ihnen ein riesiger Stapel aus Keksen, Schokoriegeln, Obst und Weißbrot. Hätten sie nicht diese teuren Outdoorjacken an, man könnte sie für Obdachlose halten. Offenbar ist die Ware noch nicht bezahlt, doch der Mann rechts im Bild greift schon gierig in die Packung voller "Chips Ahoy"- Schokokekse.

Das Bild zeigt drei Abenteurer, die nach 30 Tagen in der kanadischen Wildnis schwer angeschlagen und äußerst hungrig wieder in der Zivilisation ankommen. Sie hatten schlichtweg nicht genug Proviant für die Extremtour mitgenommen. Der Herr mit den Schokokeksen ist Stefan Glowacz, einer der besten Kletterer Deutschlands.

Jetzt hat der 46-Jährige einen Bildband über seine Expeditionen veröffentlicht mit jeder Menge eindrucksvollen Outdoor-Fotos: Glowacz todesmutig mit einem Arm am Fels-Überhang, Glowacz im Biwak an der senkrechten Wand, Glowacz mit Pulkaschlitten in Patagoniens Eiswüste.

So spektakulär das aussieht, diese Art von Bildern gehört schon fast zum Standard-Repertoire heutiger Abenteurer-Bücher. Deshalb ist es eine andere Art von Fotos, die "Expeditionen - Extremklettern am Ende der Welt" so interessant macht. Zu sehen sind darauf etwa die genannten müden Shop-Plünderer, Glowacz' zerschundene Füße nach einer Tour oder die Kletterer beim Gebet in einem nepalesischen Buddha-Tempel.

Höchste Schwierigkeitsgrade ohne Seil

"Beim Bergsteigen habe ich gelernt, demütig zu sein", sagt der Garmisch-Partenkirchener bei der Buchvorstellung in Hamburg. Einen sonderlich zurückhaltenden Eindruck macht der braungebrannte Mann mit der kinnlangen Haarmähne allerdings nicht. In jüngeren Jahren war er einer der risikofreudigsten Kletterer weltweit und wagte sich ohne Seil an Schwierigkeitsgrade, die für viele Alpinisten selbst mit Sicherung kaum zu schaffen sind.

Im Jahr 1990 zerschmetterte er sich bei einem Sturz aus zehn Meter Höhe Knie, Handgelenk und Ferse. "Noch während ich in der Luft war, dachte ich: 'Was bin ich für ein Idiot, mein Leben so leichtfertig aufs Spiel zu setzen'", sagt er heute. Fast zwei Jahre dauerte es, bis er wieder klettern konnte. Danach verzichtete er nicht mehr auf ein Sicherungsseil. Bis Mitte der neunziger Jahre gewann er viele Kletter-Wettkämpfe, danach begann er, in der Wildnis weltweit nach unbestiegenen Routen und nie bewältigten Abenteuern zu suchen.

Heute trainiert Glowacz vier Stunden am Tag und verdient sein Geld mit Büchern, Diavorträgen und Manager-Schulungen. "Ich bin ein Egoist", bekennt er lächelnd und sagt dann einen seiner Motivationsseminar-Sätze: "Jeder Mensch, der ein Ziel verfolgt, muss die Ereignisse um sich herum ausblenden können - ich würde sonst niemals diese Besessenheit aufbringen."

Von seiner Besessenheit zeugen die acht Expeditionen, die in dem Buch beschrieben werden: Sie führen ihn zu Steilwänden in Kenia und Kanada, nach Patagonien und nach Grönland.

"Wir müssen wieder zu Entdeckern werden"

Längst haben Extremsportler alle höchsten Gipfel erreicht, die senkrechten Wände der berühmten Berge sind auf mehreren Routen begangen worden. Für einen Kletterer der Nach-Messner-Generation bedeutet das, dass er kreativer sein muss bei der Suche nach Herausforderungen. "Wir können uns heutzutage an jedem Punkt der Erde absetzen und auch wieder abholen lassen", sagt Glowacz. "Deshalb müssen wir wieder zu Entdeckern werden. Das bedeutet, einfach mal nachzuschauen in den entlegenen Gebieten dieser Erde, in Baffin Island, in der Antarktis, in der Arktis: Wo gibt es dieses Felspotential, das noch nicht erschlossen ist?"

Oft bedeutet diese Art von Entdeckergeist für Glowacz, sich Hin- und Rückweg zur Steilwand schwerer zu machen als mit dem heutigen Stand der Technik nötig wäre. "Die Weiterentwicklung geht nur über den bewussten Verzicht auf die künstlichen Mittel der Fortbewegung", ist er überzeugt. Begeistert hat ihn in dieser Hinsicht eine Tour des Schweden Göran Kropp, der 1996 mit dem Fahrrad von Norwegen aus zum Mount Everest fuhr, ohne Flaschensauerstoff auf den Gipfel stieg und dann auch noch einen Großteil des Heimwegs auf zwei Rädern zurücklegte.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Glowacz, wenn er wochenlang mit dem Schlauchboot durch Kanada oder mit dem Segelboot in Richtung Antarktis fährt, bevor er die Kletterwand erreicht. Er hofft, dass er mit seinen Vorträgen und nun mit dem Buch die Menschen zu mehr Kreativität bei ihren eigenen Reisen motivieren kann. "Die müssen ja nicht das machen, was ich mache, aber es ist doch schon phantastisch, wenn sie einfach mal wieder wie früher von München aus mit dem Rad ins Gebirge fahren, um Klettern zu gehen."

Noch etwas kann der Leser lernen: dass Scheitern dazugehört, wenn man sich hohe Ziele steckt. Ausgerechnet das Schlusskapitel berichtet von einem totalen Fiasko in Nepal. Nach drei Wochen beschwerlicher Anreise stehen die Kletterer vor der unbestiegenen Südwand des 7134 Meter hohen Gauri Sankar, die komplett vereist ist. Sie kommen gerade mal 20 Meter hoch, dann kehren sie um. "So kläglich bin ich noch nie gescheitert", lautet der letzte Satz dieses bemerkenswert unheroischen Abenteuer-Buches.

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