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Mit dem Bike in den Rocky Mountains: "Und dann geht es nur noch bergab"

Foto: MountainBikingParkCity.com

Radfahren in den Rocky Mountains Downhill durchs Büffelgras

Früher durchstreiften Trapper die Rocky Mountains zu Pferde - und auch heute sitzen Abenteurer auf den Trails in Utah fest im Sattel. Auf Mountainbikes erkunden sie rund um Park City das größte Wegenetz für Downhill-Rider in den USA.
Von Sebastian Moll

Unmöglich, als Fremder in dem Gewirr von unzähligen roten, blauen und schwarzen Linien auf dem Wandplan eine Route auszumachen. Einzig der Stern im Zentrum der Karte, der unseren Standort bei Jan's, dem großen Ski- und Outdoorladen an der Lowell Avenue, markiert, ist eine Orientierungshilfe. Und natürlich Scott House, begeisterter Biker und unser Guide für die nächsten Tage in den Rocky Mountains rund um Park City in Utah.

Seine Kenneraugen durchblicken das Linienchaos, das größte Netz an Wander- und Mountainbike-Pfaden in den ganzen USA. Mit dem Finger fährt der 32-Jährige "Pinecone Ridge" entlang, eingezeichnet als gezackte blaue Linie, was auf einen steilen Anstieg hinweist. 10.000 Fuß steht auf dem Plan notiert. Schnell versuche ich umzurechnen: Das sind grob 3000 Meter. 3000 Meter!

Scott sieht, wie sich meine Stirn kräuselt. Ich halte mich zwar für einen gut trainierten Freizeitsportler, aufs Mountainbike komme ich aber bestenfalls ein-, zweimal im Jahr und dann im sanften Mittelgebirge. "Keine Sorge", sagt House. "Danach geht's nur noch bergab."

Eine halbe Stunde später schrauben wir uns einen lenkerbreiten Pfad durch Kiefernwälder hinauf und folgen den Spitzkehren zum Guardsman's Pass. Park City, die ehemalige Silberminen- und Olympiastadt mit ihren rund 7300 Einwohnern, liegt unter uns. Der Blick wird frei auf die Rocky-Mountain-Gipfel. Mit jeder Kurve fühlt man sich mehr wie ein Trapper im 19. Jahrhundert.

Die Lungen pumpen auf Hochtouren

Nach einer guten Stunde ist über unseren Köpfen der Höhengrat zu sehen. Der Schweiß läuft uns in Strömen über die Gesichter und brennt in den Augen, die Lungen pumpen auf Hochtouren. Und dann ist da die letzte Rampe des Anstiegs: "Puke Hill" - "Kotzhügel" genannt. Wir befinden uns jetzt 400 Meter höher als auf dem höchsten Alpenpass.

Als wir endlich oben stehen, knapp unterhalb der Wattewolken, die über den Wäldern schweben, sind die Qualen des Aufstiegs schnell vergessen. Unter uns funkelt ein Bergsee in der Sonne, in den Birken raschelt der Wind. "An Tagen wie diesen weiß ich wieder, warum ich hierher gezogen bin", sagt House, als der Atem sich beruhigt hat und wir uns in die Stille der Berge hineinhören können.

Der Biker ist nach dem Studium nach Park City gezogen. Er wusste damals nur, dass er irgendwohin wollte, wo er Skifahren kann. Der legendäre Pulverschnee von Utah, dazu Park City, die Hipster-Stadt im Mormonenland, wo die Kneipen so gut sind wie in Brooklyn, die Restaurants so gut wie in San Francisco und jedes Wochenende ein Musik- oder Filmfestival stattfindet. Besser hätte House es nicht treffen können. Als er einen Job bei Jan's bekam, zögerte er keinen Augenblick. Und entdeckte vor gut zehn Jahren seinen neuen Sport: das Mountainbiken.

Die Stadt war damals dabei, im großen Stil Land aufzukaufen. Der grüne Bürgermeister Dana Williams wollte verhindern, dass die Berge zugebaut werden, und den Freizeitwert von Park City gerade im Sommer steigern. Biker finden hier 600 Kilometer Mountainbike-Trails und das einzige Revier in Nordamerika, das vom Welt-Mountainbike-Verband IMBA mit einer Goldplakette ausgezeichnet wurde.

Lustjauchzer im Büffelgras

Als der Höhenwind langsam in die verschwitzten Glieder fährt, streift House sich eine Weste über, nimmt einen Happen von seinem Energieriegel und stellt sein Vorderrad in Talrichtung. Dann lässt er die Bremshebel los und rollt über einen Grat, an dessen Hängen hüfthoch das Büffelgras steht. Zehn Meilen lang geht das so, bis der Weg steil und felsig durchs Gehölz wieder in die Tiefe geht. Mehr als ein halbes Dutzend Mal stößt House dabei einen Lustjauchzer aus. Und ich würde mitjauchzen, wenn ich nicht mit gekrampften Händen an den Bremsen hinge und den Blick in den Abgrund vermeiden würde.

Es wird eine epische Tour an diesem Tag, die Art von Ansturm auf alle Sinne, der einem noch Tage danach ein breites Grinsen auf das Gesicht legt. Aber der Trip hat auch einen satten Muskelkater in den Gliedern hinterlassen, und so entschließen wir uns am nächsten Tag für eine mildere Option. Wir nehmen den Bike-tauglichen Skilift, der nur wenige Schritte von der Ferienwohnung an der Main Street von Park City seine Talstation hat.

"Wir sind anders als andere Orte in den Rockies"

Vorher geht es noch auf einen Kaffee zum Ex-Bürgermeister. Schon zu Amtszeiten stand Dana Williams in seinen abgewetzten Jeans regelmäßig hinter der Theke im Park City Roasters: einem hippen Downtown-Café nebst Galerie an der 11th Street. Nur Politik zu machen, das wäre nichts für den Alt-Hippie, Ex-Surfer und Frontmann der Motherlode Canyon Band gewesen.

Seit er nach 16 Jahren Amtszeit Anfang 2014 in Pension gegangen ist, verbringt er nun den ganzen Tag hier im Café und ist stolz auf das, was er geschaffen hat: Das heutige Park City ist Williams Vision. "Wir sind anders als andere Skiorte in den Rockies", sagt er. "Bei uns kann jeder wohnen und Urlaub machen - nicht nur die Reichen. Wir sind grün, haben unberührte Natur im Überfluss und eine gehörige Portion Funk." Der sich sofort mitteilt, wenn man am Abend die Main Street hinunterläuft - vorbei an den Musikkneipen, coolen Cafés und dem Programmkino, das alljährlich im Januar das Hauptquartier des legendären Sundance-Filmfestivals von Robert Redford ist.

Nach unserem Besuch bei Williams schieben wir unsere Bikes hinüber zum Sessellift. Sanft schweben wir den Hang hinauf und sehen den winzig scheinenden Radlern unter uns dabei zu, wie sie die vielen Pfade hinunterhoppeln, die sich durch die Wälder winden wie Klapperschlangen. Es ist das perfekte Kontrastprogramm zum großen Abenteuer am Vortag.

Kurz darauf rattern auch wir durch den Wald ins Tal, lassen uns von dem Trail zwischen Bäumen hindurch und an Felsen vorbeileiten, wie auf einem abgesteckten Slalomkurs. Die verschiedenen Farbtöne des Laub der Bäume verschwimmen am Rand des Blickfeldes - ich beginne zu verstehen, was Biker mit "Flow" meinen. Und stoße einen kurzen, aber lauten Jauchzer aus.