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Schwerwiegende Folgen: Krebs durch Übergewicht, Tabak und Co.

Foto: ALESSIA PIERDOMENICO/ REUTERS

Studie 40 Prozent aller Krebsfälle sind vermeidbar

Nicht nur Rauchen, fettreiche Ernährung und Alkohol können Tumore auslösen. Auch Sonnenbäder, Salz in der Suppe und Infektionen schaffen vermeidbaren Nährboden für Krebszellen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Das eigene Verhalten wird dem Menschen demnach immer öfter zum Verhängnis.

Hamburg - Eigentlich hat jeder Mensch die Wahl: Er kann rauchen oder nicht, Alkohol trinken oder es lassen, Chips essen oder Karottenschnitze knabbern, durch den Wald joggen oder auf der Couch sitzen. Alle einzelnen Entscheidungen haben in der Summe weitreichende Konsequenzen, wie eine britische Sammlung von Übersichtsarbeiten jetzt zusammenfasst: Demnach lassen sich rund 40 Prozent aller Tumore auf vermeidbare Faktoren im Lebensstil zurückführen.

Der wichtigste und bekannteste Risikofaktor ist das Rauchen. Den Analysen von Max Parkin vom Center for Cancer Prevention an der Queen Mary University of London zufolge ist Tabakkonsum für 23 Prozent aller Krebsfälle bei Männern und mehr als 15 Prozent aller Tumorerkrankungen bei Frauen verantwortlich. Denn nicht nur in den Lungen entstehen Krebszellen, auch in zahlreichen anderen Organen können 90 erwiesenermaßen krebserregende Substanzen aus dem Tabakrauch Tumorwachstum auslösen.

Der Mangel an Früchten und Gemüse sowie der übermäßige Verzehr von Fleisch und Salz sollen für mehr als neun Prozent aller Krebsfälle verantwortlich sein. Übergewicht und Fettleibigkeit bedingen den Berechnungen zufolge 5,5 Prozent aller Tumore. Auch fehlende Bewegung, UV-Licht, Infektionen und berufsbedingte Risiken schlagen gefährdend zu Buche.

Übergewicht für Frauen riskanter als Alkoholkonsum

"Viele Menschen glauben, dass Krebs ein Schicksal ist oder in den Genen liegt", sagt Studienautor Parkin, "und dass das Los entscheidet, ob sie einen Tumor kriegen." Die vorliegenden Ergebnisse zeigen jedoch eine andere Tendenz. Für Frauen und Männer ergaben sich dabei offensichtliche Unterschiede: Während Rauchen bei beiden Geschlechtern häufig zu Krebserkrankungen führt, ist für Männer vor allem der Mangel an vitamin- und mineralstoffreichem Obst und Gemüse ein wichtiger Faktor für die Tumorentstehung ebenso wie erhöhter Alkoholkonsum. Bei Frauen ist es vor allem das Übergewicht. "Wir hatten nicht erwartet, dass der Verzehr von Obst und Gemüse für Männer so wichtig ist für den Schutz vor Krebs", so Parkin. "Und es hat uns überrascht, dass Übergewicht bei Frauen riskanter ist als Alkoholkonsum."  Und noch andere Resultate halten die Forscher für wenig verbreitet:

  • Dass Übergewicht Darm-, Gebärmutter-, Speiseröhren- und Nierenkrebs auslösen kann, ist allgemein bekannt. Dass den Analysen zufolge jedoch auch eine von zehn Brustkrebserkrankungen durch Übergewicht entsteht, ist weniger verbreitet.
  • Rauchen führt nicht nur zu Lungenkrebs, sondern fördert auch das Wachstum von Tumorzellen in Mund, Kehlkopf, Rachen, Magen, in der Speiseröhre und in der Harnblase.
  • Der Mangel an Vitaminen und Mineralien erhöht das Risiko für einen Tumor in der Speiseröhre mehr als Alkoholkonsum.
  • Ein erhöhter Salzgehalt in der Nahrung schafft eine Grundlage für Krebszellen im Magen.
  • Einer von 25 Krebsfällen soll aufgrund von schädlichen Einflüssen bei der Arbeit entstehen.
  • Gebärmutterhalskrebs lässt sich in vielen Fällen vermeiden, wenn sich Frauen vor einer Infektion mit Humanen Papillomaviren (HPV) schützen.

180.000 vermeidbare Krebsfälle in Deutschland

Zwar sind viele Einflüsse bereits seit Jahren als Risikofaktoren für Krebs bekannt. Doch eine Zusammenstellung wie die von Parkin im aktuellen "British Journal of Cancer Research" veröffentlichte Übersicht ist neu.  "Es ist eine sehr gründliche Arbeit", sagt Rudolf Kaaks, Leiter der Epidemiologie für Krebserkrankungen am renommierten Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. "Die Zahlen lassen sich durchaus auf Deutschland übertragen."

Hochrechnungen des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge starben 2006 hierzulande 210.000 Menschen an Krebs. Im Jahr 2010 waren 450.000 Menschen an Krebs erkrankt, 246.000 Männer und 204.000 Frauen. Anhand der von Parkin ermittelten Zahl von 40 Prozent vermeidbaren Krebserkrankungen bedeutet das für Deutschland: 180.000 Tumorfälle hätten hierzulande verhindert werden können.

Und die 40 Prozent hält Experte Kaaks sogar noch für vorsichtig kalkuliert. "Wenn von 'vermeidbar' die Rede ist, wird hier offensichtlich auch von umsetzbaren Vorbeugungsmaßnahmen ausgegangen", so der Krebsforscher. "Der Autor legt demnach Schätzungen zugrunde, nach denen zum Beispiel Übergewicht im Rahmen einer gesunden europäischen Ernährung vermieden werden könnte und nicht nach den Standards von beispielsweise Südostasien, wo es deutlich weniger Darmkrebs gibt."

Hilfestellung für einen gesunden Lebensstil

Dennoch handelt es sich lediglich um Schätzungen, betont Kaaks, die absoluten Zahlen können je nach Studie, Fragestellung, Geschlecht, Alter und Einschlusskriterien durchaus variieren. Denn in den Untersuchungen wurden sogenannte attributive Risiken ermittelt, also Erkrankungshäufigkeiten aufgrund von Risikofaktoren, für die Wissenschaftler lediglich Schätzungen zugrunde legen können. Am Beispiel von Lungenkrebs als Folge von Tabakkonsum bedeutet das: Es muss zum einen überschlagen werden, wie viel höher das Risiko Lungenkrebs für moderate oder schwere Raucher ist. Zum anderen müssen die Rauchgewohnheiten in der Bevölkerung anhand von Bevölkerungssurveys geschätzt werden. Absolute Zahlen existieren hier nicht, vor allem ein bundesweites Krebsregister fehlt in Deutschland.

An Aussagekraft büßt die Arbeit dennoch nichts ein. Sie unterstreicht, was seit Jahren auf der Hand liegt: Für einen gesunden Lebensstil brauchen Menschen Hilfestellungen. Kinder, Eltern und Erzieher müssen gesunde Ernährung lernen, Aufklärung muss die Gefahren von Tabak und Alkohol verdeutlichen, und Bewegung braucht einen festen Platz im Alltag.

Denn allein das Wissen um vermeidbare Risikofaktoren ändert nicht automatisch die Lebensführung. Sonst gäbe es weltweit nicht mehr als anderthalb Milliarden Übergewichtige, es würden auch nicht jedes Jahr fünf Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums sterben. Das Problem ist vielschichtig, Nikotin und Alkohol etwa machen abhängig, ebenso spielen Erfahrungen, Erziehung und Psyche bei den Alltagsentscheidungen eine wichtige Rolle. Übergewicht stellt sich oft schon in der Kindheit ein und lässt sich daher später nur schlecht wieder abbauen.

Jeder Mensch hat jeden Tag die Wahl - eigentlich.

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