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Gesundheit Personalisierte Medizin

Bald erhält jeder Patient "seine" Therapie

Künftig werden Medikamente auf den Patienten zugeschnitten. Überdosierungen werden dann ebenso reduziert wie die Möglichkeit, dass eine Therapie nicht wirkt Künftig werden Medikamente auf den Patienten zugeschnitten. Überdosierungen werden dann ebenso reduziert wie die Möglichkeit, dass eine Therapie nicht wirkt
Künftig werden Medikamente auf den Patienten zugeschnitten. Überdosierungen werden dann ebenso reduziert wie die Möglichkeit, dass eine Therapie nicht wirkt
Quelle: pa / Bildagentur-online
Medikamente werden künftig maßgeschneidert wirken – angepasst auf das Genom eines einzelnen Menschen Das hat extreme Vorteile – nicht nur für den Patienten.

Der US-Genforscher Francis Collins verfügt als Direktor der National Institutes of Health (NIH) über einen Forschungsetat von gut 31 Milliarden Dollar pro Jahr. Damit wird die Arbeit von 6000 Forschern finanziert, die die Weichen für eine bessere Gesundheitsversorgung stellen sollen. Welche Rolle künftig die personalisierte Medizin spielen wird, erklärt Collins im Gespräch mit Norbert Lossau.

Welt online: Was bringt uns die sogenannte personalisierte Medizin?

Francis Collins : Bislang galt für Therapien das Motto: "Eine passt für jeden." Bei vielen Krankheiten muss man tatsächlich froh sein, dass es überhaupt eine Möglichkeit der Behandlung gibt. Im Moment vollzieht sich jedoch ein Paradigmenwechsel. Wir erkennen, dass eine individualisierte Medizin in vielen Fällen möglich und sinnvoll ist. Unsere Gene sind verschieden, wir leben in unterschiedlichen Umgebungen und sind anderen Risiken ausgesetzt. Es ist sinnvoll, dies alles bei einer Therapie zu berücksichtigen – auch schon bei der Prävention. Denn beim Risiko für bestimmte Krankheiten gibt es große individuelle Unterschiede. Die üblichen Empfehlungen zur Vorsorge berücksichtigen dies nicht. Jedem wird letztlich das Gleiche empfohlen. Das geht definitiv besser.

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Welt online : Dazu muss man sein Genom kennen?

Collins : Nicht unbedingt. Bereits ein Blick in die Familiengeschichte kann schon viel bringen. Wenn bestimmte Erkrankungen bei den Vorfahren besonders häufig aufgetreten sind, ist davon auszugehen, dass man selber auch ein erhöhtes Risiko hat. In einem solchen Fall lässt sich die Prävention darauf abstimmen. Die Motivation vorzubeugen, ist viel größer, wenn man den konkreten Nutzen sehen kann. Natürlich geht das alles noch viel besser, wenn nach einer DNA-Analyse das eigene Genom bekannt ist. In fünf Jahren wird eine komplette DNA-Analyse weniger als 1000 Dollar kosten. Dann wird die genombasierte Prävention dramatisch an Bedeutung gewinnen.

Welt online : Haben Sie denn bereits Ihr Genom entschlüsseln lassen?

Collins : Ja, habe ich. Ich war schon ein wenig schockiert, dass ich ein deutlich erhöhtes Risiko für Diabetes habe. Doch dieses Wissen hat mich motiviert, zu tun, was ich ohnehin hätte tun sollen: Ich ernähre mich jetzt gesünder und treibe regelmäßig Sport. Ich habe einen persönlichen Fitnesstrainer engagiert und arbeite mit ihm drei Mal pro Woche. Seit der Umstellung meines Lebenswandels habe ich gut elf Kilogramm abgenommen. Das hätte ich ohne die Motivation durch den DNA-Test wohl nicht geschafft.

Welt online : Gesund essen und Sport treiben ist ja für jeden gut, unabhängig von seinen Genen. Ist der DNA-Test also im Wesentlichen so etwas wie ein Motivationsverstärker?

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Collins : Ja, der DNA-Test kann die Motivation deutlich verstärken, weil der Einzelne versteht, dass es hier ganz konkret um ihn geht. Unser gegenwärtiges Gesundheitssystem ist ja nicht sehr effektiv, wenn es darum geht, eine gesunde Lebensweise zu fördern. Das gilt nicht nur für die USA, sondern die meisten entwickelten Länder. Mehr Marketing für gesunde Lebensmittel und eine bessere Gesundheitserziehung wären sicher hilfreich. Doch am Ende ist es die freie Entscheidung des Einzelnen, ob er ein gesundes Leben führt oder nicht.

Welt online : Mit dem DNA-Test lässt sich auch überprüfen, ob man ein erhöhtes Risiko hat, an Alzheimer zu erkranken. Haben Sie diese Information abgefragt? Dieses Wissen hilft einem ja nach heutigem Kenntnisstand nicht, die Krankheit zu verhindern?

Collins : Ich gehöre zu denen, für die Wissen immer besser ist als Nichtwissen. Ich habe mir also diese Informationen geben lassen. Das Ergebnis war erfreulich: Ich habe kein erhöhtes Risiko für Alzheimer. Doch ich kann die Menschen verstehen, die an dieser Stelle ihre genetische Disposition lieber nicht erfahren wollen.

Welt online : Personalisierte Medizin ist also ein Instrument zur Verbesserung der Gesundheitsvorsorge. Kann sie auch die Therapien besser machen?

Collins : Absolut. Die personalisierte Medizin wird auch in der Therapie an Bedeutung gewinnen. Wenn heute einem Patienten mit zum Beispiel Diabetes oder einer Herzerkrankung ein Medikament verschrieben wird, kann es sein, dass es keine Wirkung hat oder, schlimmer noch, unerwünschte Nebenwirkungen. Das liegt an den genetischen Unterschieden der Menschen. Was dem einen hilft, ist für den anderen nutzlos oder gar gefährlich. Das können Gentests vorab klären. Es gibt viele Beispiele für die individuelle Wirksamkeit von Medikamenten, etwa einem Herzmedikament, das bei einem Drittel der Patienten schlicht nicht wirkt. Diese Zusammenhänge zu erforschen, ist Aufgabe der Pharmakogenomik. Sie wird an Bedeutung gewinnen.

Welt online : Künftig wird es also für jeden Patienten individuelle Medikamente geben?

Collins : Ja, denn wir können bei vielen Krankheiten mit den heute verfügbaren Therapien nicht zufrieden sein. Das Studium des menschlichen Genoms lässt uns die molekularen Grundlagen von Krankheiten erkennen. Das eröffnet neue Möglichkeiten, individuelle Medikamente zu entwickeln, die gezielt eingreifen können. Bleiben wir beim Beispiel Diabetes. Seit Jahrzehnten wird diese Krankheit erforscht, doch erst seit der Jahrtausendwende beginnen wir zu verstehen, was hier auf molekularer Ebene wirklich geschieht.

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Die Erkenntnis ist, dass Diabetes nicht einfach eine einheitliche Krankheit ist, sondern dass es viele verschiedene, individuelle Ausprägungen gibt. Die sollten dann möglichst auch individuell behandelt werden. Die Genomforschung wird uns bessere und nebenwirkungsärmere Medikamente bescheren. Es gab in der Medizingeschichte keine spannendere und Erfolg versprechendere Zeit für die Entwicklung neuer Arzneimittel.

Welt online : Doch die Realität sieht eher anders aus. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Zahl der neu zugelassenen Medikamente eher zurückgegangen.

Collins : Dafür gibt es viele Gründe, auch bürokratische. Es ist schwierig, neue wissenschaftliche Erkenntnisse so umzusetzen, dass sie zu neuen Medikamenten führen. Hier sehe ich als Direktor der NIH eine zentrale Aufgabe des öffentlich finanzierten Gesundheitssystems. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel und müssen den Wissenschaftlern an den Universitäten dabei helfen, eine Brücke von der grundlegenden Entdeckung zu den ersten Schritten der Entwicklung eines neuen Medikaments zu schlagen.

Wir müssen hier ein Stück weit das ökonomische Risiko herausnehmen, und die Entwicklungen so weit fördern, bis sie für die Industrie nicht mehr unsicher, sondern wirtschaftlich interessant erscheinen. Dann kann man die Dinge dem privaten Sektor übergeben und ihn das machen lassen, was getan werden muss – von den klinischen Versuchen bis hin zur Zulassung. Es gibt Beispiele, wo dieses Modell gut funktioniert hat, etwa bei der Entwicklung von neuen Krebsmedikamenten. Wir sollten künftig auf breiter Front nach diesem Prinzip vorgehen.

Welt online : Eine personalisierte Medizin benötigt also eine größere Zahl verschiedener Medikamente. Was heute noch als eine Krankheit gilt, wird ja in zahlreiche Krankheiten zerfallen.

Collins : Richtig. Heute wird manches unter dem Begriff einer Krankheit zusammengefasst, nur weil die Symptome gleich sind. Doch je besser wir die molekularen Prozesse verstehen, die hinter diesen Krankheiten stehen, umso klarer wird, dass es sich um ganze Ensembles unterschiedlicher Erkrankungen handelt.

Ein Beispiel ist Krebs. Wir wissen heute, dass praktisch jede Krebserkrankung einzigartig ist. Damit wird künftig auch jede Krebstherapie einzigartig sein. Man muss bei jedem Patienten schauen, welche molekularen Targets einen Angriff lohnen. Dann muss man die Medikamente auswählen, die für diese Targets infrage kommen. Die klassische Krebstherapie ist so etwas wie ein Flächenbombardement. Was wir aber wollen, sind Angriffe mit intelligenten, zielgenauen Waffen. Ich verspreche mir davon, dass die Lebenserwartung von Patienten nicht nur um wenige Monate ansteigt, sondern um wirklich große Zeitspannen.

Welt online : Diabetes-Patienten erhalten Insulin. Was könnte sich ändern, wenn sie individueller behandelt werden?

Collins : Bei der Diabetes Typ 2 ist es ja so, dass viele Patienten jahrelang mit Pillen behandelt werden können, die die Produktion von Insulin stimulieren. Die moderne Genomforschung hat 38 Targets identifiziert, die bei Diabetes eine Rolle spielen. Tatsächlich ist es so, dass schon die bisherigen Medikamente einige dieser Targets angreifen. Insofern haben wir gefunden, was wir ohnehin schon wussten. Doch es gibt viele Targets, für die es noch keine Medikamente gibt. Das sind also neue Ansatzpunkte, denen wir nachgehen können. Vielleicht sind die Medikamente, die wir hier noch entwickeln können, besser als die bisherigen.

Welt online : Wenn wir viele neue Medikamente brauchen, die individuell wirken, dann muss die Rate, mit der neue Arzneien auf den Markt kommen, erhöht werden. Ist das machbar?

Collins : Die Entwicklung von Medikamenten ist keine einfache Sache. Da lassen sich einzelne Schritte nicht mal eben um einen Faktor 10 oder 100 beschleunigen. Der menschliche Körper ist so kompliziert, dass es immer wieder unerfreuliche Überraschungen geben kann. Auch wenn man glaubt, endlich die richtige Formel gefunden zu haben, kann sich doch noch herausstellen, dass es unakzeptable Nebenwirkungen gibt. Dann war alles umsonst.

Die von mir angesprochene engere Zusammenarbeit der Pharmafirmen mit akademischen Forschern würde zumindest sicherstellen, dass wir mit den Wirkstoffen die richtigen molekularen Targets angreifen. Bislang wurden ja nicht selten in Tierversuchen Arzneien entwickelt, die sich beim Menschen als unwirksam herausstellten – Hunderte von Millionen Dollar waren umsonst ausgegeben. Besseres Grundlagenwissen kann künftig dafür sorgen, dass wir von Anfang an mit dem richtigen Zellmodell arbeiten. Um das zu fördern, wurde ein neues NIH-Zentrum gegründet – erstmals seit 20 Jahren. Es geht hier nicht darum, dass wir der Industrie Konkurrenz machen wollen. Vielmehr möchten wir für sie das Risiko bei der Entwicklung von Medikamenten minimieren.

Welt online : Können Sie an einem Beispiel erklären, wie so etwas ablaufen kann?

Collins : Nehmen wir die Sichelzellen-Anämie. Ein Forscher an einer amerikanischen Universität fand ein Molekül, das sich an rote Blutkörperchen heftet und sie dann davon abhält, die abnormale Sichelgestalt anzunehmen, was die Krankheitsprobleme verursacht. Der Forscher hatte keine Ressourcen, die Entwicklung eines Medikamentes selber fortzuführen, und die großen Pharmaunternehmen zeigten kein Interesse.

Er fand schließlich eine kleine Biotechfirma, die sich der Sache annahm, doch dann kein Geld mehr für die Weiterentwicklung hatte. Dann kamen wir ins Spiel. Wir haben das Unternehmen unterstützt, bei der Wahl des richtigen Tiermodells geholfen und die Entwicklung bis zu den klinischen Versuchen begleitet. Jetzt gibt es viele Firmen, die interessiert daran wären weiterzumachen. Das Risiko ist raus, und auch bei einem vergleichsweise kleinen Markt ist das Medikament lukrativ.

Welt online : Je kleiner der Markt, umso weniger darf die Entwicklung eines neuen Medikaments kosten?

Collins : Die Risiken müssen so überschaubar sein, dass sich ein Unternehmen auf die Sache einlassen kann. Niemand möchte Hunderte von Millionen Dollar in einen neuen Wirkstoff investieren, wenn es nur einen sehr begrenzten Markt dafür gibt. Die Erfolgsrate bei der Entwicklung von Medikamenten ließe sich womöglich auch dadurch steigern, dass die Firmen ihre Geheimhaltungspolitik lockern und stärker nach dem Prinzip "open access" arbeiten. Dann würden sich Fehlentwicklungen schneller erkennen lassen.

Welt online : Müssen wir im Zeitalter der personalisierten Medizin nicht auch die Ausbildung von Studenten verändern?

Collins : Ja, das sollten wir unbedingt tun. Ich bin sehr besorgt darüber, dass bislang bei der Ausbildung von Medizinern Genetik und personalisierte Medizin kaum eine Rolle gespielt haben. Selbst heute haben sich noch nicht alle Medizinischen Hochschulen auf den neuen Stand des Wissens eingestellt.

Die Entwicklungen in der Forschung sind sehr viel rasanter als die in den Curricula. Der Graben zwischen den Möglichkeiten der modernen Medizin und dem, was die Ärzte kraft ihres Wissens in der Praxis anwenden können, wird leider immer größer. So ist es eine große Herausforderung, die Aus- und Weiterbildung der Mediziner zu verbessern. Die Ärzte müssen künftig auch Experten für Genetik, Pharmakogenomik und personalisierte Medizin sein. Ich bin optimistisch: Das wird gelingen.

Welt online : Könnte die Synthetische Biologie helfen, neue Medikamente für die personalisierte Medizin zu entwickeln?

Collins : Synthetische Biologie ermöglicht das Schreiben von beliebiger DNA am Computer und die anschließende Herstellung dieses Erbguts im Labor. Das Einschleusen solcher DNA in Bakterien verleiht ihnen bestimmte Fähigkeiten. Inwieweit das der Medizin nutzen kann, ist noch nicht wirklich klar. Eine Möglichkeit wäre, dass auf diese Weise genetisch veränderte Mikroorganismen zur Produktion von Medikamenten genutzt werden.

Welt online : Wäre es auch denkbar, dass geeignet veränderte Bakterien zur Therapie von Patienten genutzt werden?

Collins : Durchaus. Dazu müssen wir erforschen, welche Bakterien gesundheitsfördernde und welche krank machende Wirkungen haben. Auf der einen Seite sucht die Probiotik nach guten Bakterien, auf der anderen Seite gibt es Hinweise, dass schlechte Bakterien sogar bei der Entstehung von Krebs eine Rolle spielen. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Therapie gegen Übergewicht geben könnte, bei der Bakterien die Darmflora so verändern, dass der Darm nicht mehr effektiv arbeitet und man deshalb abnimmt.

Welt online : Und daran wird schon gearbeitet?

Collins : Ja, daran wird bereits geforscht.

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