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Angst vor Zahnschmerzen erhöht das Leiden

dentist and assistant trying to examine fearful patient dentist and assistant trying to examine fearful patient
Manch einen befällt schon beim Anblick einer Zahnarztpraxis die nackte Panik
Quelle: picture-alliance / beyond/beyond/beyond/beyond foto
Wissenschaftler haben den Zahnschmerz untersucht. Das Ergebis: Wer Angst davor hat, leidet noch viel mehr.

Das Wort Zahnschmerz allein verursacht ein unangenehmes Gefühl, selbst wenn man gerade gar keine hat. Es mag sein, dass dieses Unbehagen in der Vergangenheit auch bei Wissenschaftlern zuschlug, denn bis vor Kurzem wusste man aus der Forschung überraschend wenig über den Zahnschmerz.

Inzwischen hat sich das geändert, und einige Forscher sind in den vergangenen Jahren dem Zahnschmerz auf den Grund gegangen. Viele andere Experten, die sich seit Langem mit dem Schmerz und seiner Verarbeitung im Allgemeinen beschäftigen, haben dabei gute Vorarbeit geleistet.

So weiß man inzwischen recht genau, welche Areale des Gehirns bei der Schmerzverarbeitung fast immer eine Rolle spielen. Wissenschaftler haben das beteiligte Netzwerk „Schmerzmatrix“ getauft. Es besteht zum einen aus den Teilen des Gehirns, die die schmerzenden Körperteile in unserem Denkorgan repräsentieren, die sogenannten sensomotorischen Areale.

Auch der Thalamus, der wie ein Filter entscheidet, welche ankommenden Sinnesinformationen wichtig genug sind, um weitergeleitet und verarbeitet zu werden, ist an der Schmerzverarbeitung beteiligt – ebenso wie das Kleinhirn, welches unter anderem Reflexe und die Motorik steuert.

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Verschiedene Studien konnten mittlerweile zeigen, dass alle diese Gebiete im Wechselspiel miteinander dafür zuständig sind, den Schmerz im Körper genau zu lokalisieren und dann angemessen auf ihn zu reagieren.

Weiterhin sind auch Teile des limbischen Systems aktiv, also des Netzwerkes von Hirnarealen, die bei der Entstehung von Emotionen eine entscheidende Rolle spielen. Hier, im vorderen Teil der sogenannten Gyrus cinguli und in der sogenannten vorderen Insel werden unsere Gefühle verarbeitet.

Besonders die Insel scheint eine Schlüsselrolle bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerz zu spielen. Ein Forscherteam um den Radiologen Andreas Gutzeit vom Kantonsspital Winterthur in der Schweiz hat sich deshalb in einer jüngst erschienenen Studie zum Zahnschmerz damit beschäftigt, ob die Insel auch an Änderungen im Stoffwechsel des Gehirns beteiligt ist.

Dazu untersuchten die Wissenschaftler ihre Probanden mit einer Methode namens H-Magnetic Resonance Spectroscopy (H-MRS), mit der sich die Konzentration bestimmter Botenstoffe wie Glutamat im Gehirn messen lässt. Sie stimulierten die Eckzähne im Oberkiefer der Versuchsteilnehmer 15 Minuten lang etwa 90-mal elektrisch – was durchaus schmerzhaft war.

Gleichzeitig befragten die Wissenschaftler die Versuchsteilnehmer, wie stark sie die Schmerzen bei jedem Stromreiz spürten. Die Messungen in der Insel ergaben, dass sich der Stoffwechsel tatsächlich sofort an den Schmerzreiz anpasste – die Glutamatkonzentration des Gehirns schoss in die Höhe, sobald ein Strom an die Zähne angelegt wurde.

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Je größer dieser Anstieg war, desto weniger intensiv wurden die Schmerzen wahrgenommen. Und sobald der Schmerzreiz vorüber war, verringerte sich auch die Konzentration der Neurotransmitter wieder. Arbeitet die Insel gut und erkennt den Schmerz schnell, tut es also nicht so sehr weh.

So gut das Gehirn aber auch beim Erkennen von Zahnschmerz ist – ganz genau zu beurteilen, von welchem Zahn der Schmerz eigentlich kommt, ist nicht gerade seine Stärke. Denn es muss über die Zeit erst lernen, wie sich Berührungen und Schmerzen an verschiedenen Körperteilen anfühlen, um eine genaue Schmerzlandkarte entwerfen zu können, die diese Teile jeweils repräsentiert.

Wenn uns beispielsweise der Arm wehtut, dann weiß unser Gehirn genau, wie sich Berührungen und Schmerz dort anfühlen, denn es hat viel Erfahrung damit. Bei den Zähnen aber ist das anders, denn sie machen sich eben nur dann bemerkbar, wenn sie wehtun – was glücklicherweise seltener der Fall ist.

Das konnten Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und der finnischen Universität Turku auch experimentell zeigen. Sie leiteten ihren Studienteilnehmern ebenfalls schmerzhafte elektrische Impulse in die Eckzähne, und zwar jeweils im Ober- und Unterkiefer.

Dabei stellten sie fest, dass die Aktivierung im Gehirn auffallend ähnlich war, egal ob es sich um einen schmerzenden Zahn im Ober- oder im Unterkiefer handelte. Der Leiter der Studie, Clemens Forster vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Erlangen, erklärt dazu, dass zwar noch im Hirnstamm eine räumlich deutlich getrennte Verarbeitung der Signale aus Ober- und Unterkiefer stattfindet.

Doch diese Trennung gehe dann offenbar auf dem Weg zum Großhirn weitgehend verloren. Wer also beim nächsten Zahnarztbesuch nicht ganz genau sagen kann, wo es nun wehtut, muss sich keine Gedanken machen. Das Gehirn kann schlichtweg nicht immer genau erkennen, wo es zieht und klopft.

Bei anderen Körperteilen nehmen wir Schmerz zweigeteilt wahr: Wir lokalisieren, wo es schmerzt, und danach bewerten wir es emotional. Ob diese Zweiteilung auch für Zahnschmerzen gilt, haben der Neuropsychologe Mike Brügger von der Universität Zürich und sein Team kürzlich untersucht.

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Sie schauten dabei mithilfe der funktionalen Magnetresonanztomografie (fMRT) dem Gehirn zu: Immer dort, wo es besonders gut durchblutet wurde, wurde der Schmerz gerade verarbeitet. Auch hier mussten die Probanden elektrische Schmerzreize an verschiedenen Zähnen ertragen.

Zunächst sah alles unspektakulär aus: Alle die Hirnareale leuchten im fMRT auf, die auch dann aktiv wurden, wenn man sich den Arm stößt oder den Daumen klemmt. Die wohlbekannte Schmerzmatrix zeigte sich auf den Computermonitoren. Auch war die Schmerzverarbeitung wieder zweigeteilt.

Doch ein Befund überraschte die Hirnforscher: Auch die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns, war bei den Probanden über die gesamte Versuchzeit hinweg aktiv. Zwar wurde bei anderen Studien gelegentlich eine aktive Amygdala beobachtet, doch nicht so durchgängig und deutlich wie beim Zahnschmerz.

Brügger und sein Team vermuten, dass diese stärkere Aktivierung und damit die stärkere Repräsentation von Angst spezifisch für den Zahnschmerz sind. Zahnschmerzen würden demnach ganz unmittelbar größere Ängste auslösen als andere Schmerzen. Warum wir mit unseren Zähnen so überempfindlich sind, ist allerdings noch unklar.

Zahnärzte können ein Lied davon singen. Sie richten Sprechstunden für Angstpatienten ein, setzen auf Hypnose oder lernen in Weiterbildungen, wie man mit der unbelehrbaren Patientenangst produktiv umgeht, damit nach der Behandlung der vormals Schmerzgeplagte erleichtert und zufrieden nach Hause geht – und vor allem wiederkommt.

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