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Gesundheit Bertelsmann-Studie

Wo Kinder in Deutschland viel Antibiotika erhalten

Eine Untersuchung zeigt: So unterschiedlich verschreiben deutsche Ärzte bei gleicher Diagnose. Denn ob Kinder Antibiotika erhalten oder nicht, hängt vom Wohnort ab.

Ob Mittelohrentzündung, starke Erkältung oder hohes Fieber – wenn das Kind krank ist, wollen Eltern das beste Mittel zur raschen Genesung. Ihre Hoffnung setzen sie häufig auf Antibiotika.

Diese Art von Medikamenten ist eigentlich ein Segen, da sie bakterielle Infektionen, die früher nicht selten zum Tode führten, behandelbar machen. Die meisten Mediziner gehen sehr verantwortungsvoll mit der Verschreibung um. Doch Ärzte, die wenig Erfahrung mit Kindern haben, und Notärzte geben aus Sicherheitsgründen eher ein Antibiotikum.

Doch ob einem Kind ein Antibiotikum verschrieben wird oder nicht, ist in Deutschland auch vom Wohnort abhängig: Kinder im Nordosten Deutschlands erhalten doppelt so häufig Antibiotika wie Kinder in Süddeutschland. Das belegt der aktuelle " Faktencheck Gesundheit " der Bertelsmann-Stiftung. 2009 erhielten bundesweit insgesamt 38 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren Antibiotika. Bei den Drei- bis Sechsjährigen war es sogar jedes zweite Kind.

Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann-Stiftung, sagt: "Die Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen sind riesig. In einigen Landkreisen im Osten Mecklenburg-Vorpommerns erhielt die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren mindestens ein Mal ein Antibiotikum vom Arzt verordnet. Das sind doppelt so viele wie beispielsweise in bestimmten Landkreisen im südlichen Bayern."

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Die meisten Verordnungen fanden sich bei der repräsentativen Untersuchung mit etwa 50 Prozent in Sachsen-Anhalt, die wenigsten mit 30 Prozent in Schleswig-Holstein. Es stellte sich bei der aktuellen Studie jedoch auch heraus, dass es innerhalb der Bundesländer ebenso starke Variationen gibt. So werden in Grenzregionen zum Beispiel zu Frankreich und den Niederlanden häufiger Antibiotika verschrieben.

Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung haben Gesundheitsökonom Professor Gerd Glaeske und seine Kollegen des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen anhand der Daten der Barmer GEK die möglichen Hintergründe, Ursachen und Folgen der Verordnungspraxis untersucht.

Besonders häufig werden danach Antibiotika bei akuter Mittelohrentzündung, fiebriger Erkältung und Grippe eingesetzt. Das Problem dabei ist, dass Kindern Antibiotika oft verschrieben werden, wenn es meist gar nicht notwendig ist. Denn Antibiotika wirken nur gegen Bakterien und nicht gegen Viren. Da es sich bei den angeführten Erkrankungen aber meistens um Virusinfekte handelt, helfen Antibiotika vielfach gar nicht.

Deutsche Ärzte scheinen auch bei gleicher Diagnose ein unterschiedliches Verordnungsverhalten zu haben. Dem Bertelsmann-Report zufolge unterscheiden sich die Verschreibungen von Antibiotika zwischen den Facharztgruppen erheblich.

Etgeton sagt: "Bei nicht eitrigen Mittelohrentzündungen, bei denen Antibiotika laut Leitlinien nur in Ausnahmefällen angezeigt sind, verordneten 33 Prozent der Hausärzte Antibiotika, aber nur 17 Prozent der Kinderärzte und neun Prozent der HNO-Ärzte. Bei Lungenentzündungen, wo die Verordnung von Antibiotika angezeigt ist, waren es 80 Prozent der Kinderärzte, aber nur 66 Prozent der Hausärzte."

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Allgemein-, Kinder- und HNO-Ärzte berücksichtigen die medizinischen Leitlinien nicht stark genug, schlussfolgern die Bertelsmann-Experten. Speziell Hausärzte sollten die Antibiotika-Verordnung bei Mittelohrentzündungen um ein Drittel senken.

Auch kulturelle Unterschiede oder etwa Migrationshintergründe könnten eine Ursache der regional uneinheitlichen Verschreibungsgepflogenheiten sein, ebenso die unterschiedliche Dichte der Kinder- und Jugendärzte in den jeweiligen Regionen.

Glaeske fasst die Ergebnisse so zusammen: "In Regionen, in denen Allgemeinärzte häufig aufgesucht werden, werden auch mehr Antibiotika verordnet. Der Druck in einer Allgemeinpraxis, viele Patienten zu behandeln, könnte damit zu tun haben." Diese Erklärungsansätze müsse man noch weiterverfolgen.

Werden Antibiotika zu häufig und unnötig eingenommen, besteht bekanntlich die Gefahr, dass sie keine Wirkung mehr zeigen, wenn sie wirklich notwendig sind. Bereits jetzt stellen resistente bakterielle Erreger in Krankenhäusern ein großes Problem dar. Deshalb ist es extrem wichtig, vorschnelle Gaben von Antibiotika zu vermeiden.

Der " Faktencheck Gesundheit " macht eine Reihe von Vorschlägen, wie sich Eltern darüber informieren können, wann Antibiotika wirklich sinnvoll sind und wann der Einsatz eher unnötig erscheint. Eine Checkliste für den Arztbesuch enthält Fragen, die gestellt werden können, um eine vorschnelle Gabe von Antibiotika zu vermeiden: Sprechen die Symptome eher für einen bakteriellen oder für einen Virus-Infekt?

Ist erst einmal eine Abwartezeit sinnvoll? Kann ein Schmerzmittel meinem Kind während des Abwartens helfen? Wenn ja, welches Mittel in welcher Dosierung? Welche weiteren Maßnahmen können die Heilung unterstützen? Der "Faktencheck Gesundheit" bietet im Internet außerdem einen Antibiotika-Pass, in den jede Einnahme eingetragen wird und der dem Arzt bei jeder Verordnung vorgelegt werden sollte.

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