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Molekulare Kampfmaschinen gegen den Hirntumor

An einer Impfung gegen Krebs wird seit Jahrzehnten geforscht An einer Impfung gegen Krebs wird seit Jahrzehnten geforscht
An einer Impfung gegen Krebs wird seit Jahrzehnten geforscht
Quelle: pa / dpa
Viren können Krebszellen zerstören. Nun erhalten Patienten in Heidelberg diese neue Therapie. Ein erster Betroffener wurde jetzt aus Klinik entlassen.

Viren gelten für gewöhnlich als heimtückische Krankheitserreger. Die parasitären Moleküle bestehen aus nicht mehr als einer Handvoll Gene. Auf das biologisch Unverzichtbare reduziert und von der Selektion auf höchste Effizienz getrimmt, verfolgen sie nur ein Ziel: sich selbst in bestimmten Zellen ihres Wirtes zu vermehren.

Dazu klinken sie sich nach einer Infektion geschickt in das zelluläre Wechselspiel zwischen Information und Funktion ein und zwingen geeigneten Wirtszellen ihr Programm zu Synthese von neuen Virusmolekülen auf. Für die befallenen Zellen endet das meist tödlich.

Genau diese kompromisslosen und präzisen Eigenschaften machen bestimmte Viren als Instrumente für die Medizin interessant. Ihr Einsatzziel sind jedoch nicht gesunde Zellen. Die molekularen Kampfmaschinen sollen Krebszellen den Garaus machen.

Nur für Rückfall-Patienten

Bei der Umsetzung des Plans steht die Forschung noch am Anfang. Einen entscheidenden Schritt zu einer Therapie haben jetzt Wissenschaftler an der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg unternommen. Erstmals in Europa werden dort Patienten, die an einem aggressiven Gehirntumor – dem sogenannten Glioblastom – erkrankt sind, mit Krebszellen zerstörenden Viren behandelt.

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Die klinische Studie untersucht zunächst die Sicherheit des neuartigen Ansatzes. Deshalb sind bisher nur Patienten eingeschlossen, die nach Operation, Strahlen- oder Chemotherapie einen Rückfall erlitten haben und bei denen die herkömmliche Therapie versagt hat.

Zum Einsatz kommen Parvoviren vom Stamm H1. Sie sind nur 20 Millionstel Millimeter groß und gehören zu den kleinsten bekannten Viren. Die winzigen Molekülpartikelchen können die sogenannte Blut-Hirn-Schranke überwinden, ein biologischer Schutzmechanismus, der im Blut zirkulierende Fremdstoffe aus dem Gehirn fernhält, aber auch Medikamenten den Zutritt verwehrt.

Keine schädliche Wirkung auf gesunde Zellen

Parvoviren befallen normalerweise Nagetiere, doch sind sie auch in der Lage, menschliche Zellen zu infizieren. Das Besondere an dem Ansatz, bei dem es sich nicht um eine Gentherapie handelt: „Parvoviren vermehren sich nur in teilenden Zellen, und sie bauen ihr Erbgut nicht in das Genom der infizierten Zellen ein. So besteht kein Risiko, dass sie beispielsweise wachstumsfördernde Gene aktivieren“, erläutert Professor Jean Rommelaere vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.

Vor zwei Jahren hatte der Wissenschaftler mit Kollegen von der Universitätsklinik Heidelberg im Experiment mit erkrankten Ratten nachgewiesen, dass Glioblastome sich durch eine Behandlung mit den Parvoviren bei einem großen Teil der Tiere in kurzer Zeit vollständig zurückbildeten.

Eine schädliche Wirkung auf gesunde Zellen zeigte sich dabei nicht. Nun hat auch der erste Patient, der mit den Parvoviren behandelt wurde, die Therapie sehr gut überstanden und konnte die Klinik verlassen.

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Die erste Verabreichung der Parvoviren erfolgt zehn Tage vor der erneuten Operation. Es kommen zwei Verfahren infrage: „Entweder injizieren wir zuerst die Viren lokal über einen stereotaktischen Eingriff in den Tumor, oder der Patient erhält die Therapie zu Beginn systemisch über die Vene“, erklärt Karsten Geletneky, Oberarzt der Neurochirurgischen Klinik und Prüfarzt der klinischen Studie.

Nach zehn Tagen wird der Tumor chirurgisch entfernt und der Patient bekommt die Viren erneut, dann aber direkt in den Bereich um das entfernte krankhafte Gewebe herum.

Für die erstmalige Behandlung von Patienten mit dem neuen Ansatz haben Zulassungsbehörde und Ethikkommission, die das Forschungsvorhaben vorab prüfen, hohe Auflagen gestellt. So darf der nächste Patient erst behandelt werden, wenn der vorherige Patient die Therapie gut überstanden hat.

Deshalb vergehen zwischen zwei Behandlungen vier Wochen. Auf diese Weise sollen bis 2013 noch 17 weitere Patienten im Rahmen der Studie behandelt werden. Erst dann können die Forscher erste vorsichtige Aussagen zur Wirksamkeit machen.

Fünf-Jahres-Überlebensrate unter fünf Prozent

Das Glioblastom ist bei Erwachsenen der häufigste bösartige Primärtumor im Gehirn und wächst sehr aggressiv. Jedes Jahr erkranken etwa 3500 Menschen in Deutschland. Der Erfolg mit herkömmlichen Behandlungsmethoden ist äußerst unsicher.

Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt unter fünf Prozent. „Von dem jetzt erstmals am Menschen getesteten Therapieansatz erhoffen wir uns eine Verbesserung der Überlebenschancen“, erklärt Professor Andreas Unterberg, Ärztlicher Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg.

Das ist auch das Ziel einer Gentherapie mittels eines Impfstoffes. Dabei übertragen Viren, die nur Tumorzellen befallen, zusätzlich eingebaute Gene und markieren so die Krebszellen. Das wirkt auf das Immunsystem wie ein intensives Alarmsignal. Es produziert daraufhin große Mengen von Abwehrzellen mit spezifischen Antikörpern, die sich auf die Spur des Tumors heften und ihn dann gezielt attackieren. Wird die Impfung mehrmals wiederholt, verstärkt sich der Effekt noch. Im Tiermodell funktioniert das schon gut.

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Im Vorjahr erzielte ein angloamerikanisches Forscherteam mit der Methode bei Mäusen, die an Prostatakrebs erkrankt waren, beachtliche Erfolge. Die Gruppe um den US-Forscher Richard Vile von der Mayo-Klinik in Rochester und seinen britischen Kollegen Alan Melcher von der Universität Leeds benutzte Vesikuläre Stomatitis-Viren (VSV) als Lenkwaffe gegen die Tumorzellen.

Der Erreger löst bei Rindern, Pferden und anderen Huftieren eine mild verlaufende Erkrankung aus, kann aber auch Menschen infizieren und verursacht dann leichte, grippeähnliche Symptome. Im Jahr 2000 hatten kanadische Forscher an der Universität von Ottawa entdeckt, dass das Virus Krebszellen infiziert, wenn es mit Interferon verabreicht wird, ohne dabei gesunde Zellen zu schädigen. Der Effekt war jedoch für eine Tumortherapie nicht stark genug.

Weitere Tests nötig

Deshalb haben Vile und Melcher das Virus so verändert, dass es nun in der Lage ist, häufig vorkommende Antigene von Prostata-Tumorzellen auszuprägen. Das breite Spektrum an tumorspezifischen „Erkennungsmarken“ sollte sicherstellen, dass möglichst alle Zellen eines Tumors attackiert werden.

Der Plan der Wissenschaftler ging auf: Bei 80 Prozent der geimpften Mäuse bildete sich der Tumor zurück, 50?Prozent der Tiere lebten auch nach 100 Tagen noch. Laut den Forschern gelten sie damit als geheilt.

Doch: „Der Impfstoff muss noch weiterentwickelt und am Menschen getestet werden, bevor wir sagen können, ob diese Technik bei Krebspatienten einsetzbar ist“, sagt Peter Johnson vom Institute of Cancer Research in London.

Das ist auch das Ziel der deutschen Forscher Frank Schnieders und Reinhard Wähler, die die Arbeitsgruppe Gentherapie am Institut für Molekulare Zellbiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf leiten. Auch sie haben eine Impfung gegen Krebs entwickelt und sie bei Ratten, die an Lebertumoren erkrankt sind, erfolgreich erprobt.

Dabei spritzen sie genetisch veränderte Schnupfenviren direkt in Lebertumoren, an denen die Tiere erkrankt sind. Die Viren infizieren nur die Tumorzellen und regen das Immunsystem der Tiere zur gezielten Abwehr an.

Damit dies gut gelingt, haben die Forscher drei Gene in das Erbgut der Viren eingebaut. Jedes Gen steuert die Produktion eines immunstimulierenden Eiweißes. Zwei davon sind Interleukine – Botenstoffe, die an der Regulation der Immunantwort beteiligt sind. Das dritte Eiweiß verstärkt die Aktivierung von T-Zellen und sorgt dafür, dass sich die Abwehrzellen gezielt auf die infizierten Tumorzellen stürzen und sie vernichten.

Bei den krebskranken Tieren ließ die Impfung nicht nur den ursprünglichen Tumor schrumpfen. Auch abgesiedelte Tochtergeschwülste, die nicht mit den Viren infiziert waren, starben ab. Mehr noch, bei den Versuchstieren bildet sich auch dann kein neuer Tumor, wenn ihnen einige Zeit nach der Behandlung Tumorzellen gespritzt werden. Den erstaunlichen Effekt erklären die Forscher damit, dass auch später noch im Organismus der behandelten Tiere eine Reserve mit T-Zellen zurückbleibt.

Trotz erster Erfolge erklären die Forscher aber vorsichtig: „Bevor wir unser Verfahren am Menschen einsetzen, müssen wir alle Risiken ausschließen. Unsere bisherigen Ergebnisse machen uns aber sehr optimistisch, dass wir eine ausgesprochen effektive und gleichzeitig ungefährliche Form der Gentherapie gefunden haben.“

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