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Warum Insekten nicht unser neues Fleisch werden

Insekten als Delikatesse in China Insekten als Delikatesse in China
Im asiatischen Raum gehören Insekten bereits seit langer Zeit zur Ernährung dazu. In Deutschland werden die kleinen Krabbler auf dem Speiseteller wahrscheinlich weiterhin eher die ...Ausnahme bleiben
Quelle: Maxppp
Reichlich Nährstoffe und gut für die Umwelt: Insekten werden als Geheimtipp gehandelt, wenn es darum geht, den Fleischhunger der Welt zu stillen. Gibt es bei uns also bald Heuschrecke statt Steak?

Besitzer von Leguanen, Geckos oder anderen Reptilien kennen die durchsichtigen Plastikschälchen, in deren Deckel meist kleine Löcher gestochen sind. Im Inneren herrscht mal emsiges Treiben, mal absolute Stille. Dann verrät vielleicht nur ein Zirpen, dass sich etwas Lebendes in der kleinen Box befindet. Heuschrecken, Grillen, Schaben oder Käfer – die Rede ist von Insekten.

Für viele Tiere stehen die kleinen Krabbler schon seit jeher ganz oben auf der Speisekarte. Wer Reptilien zu Hause hat, dem bleibt der Gang in die Lebendfutterabteilung des Zoogeschäfts leider nicht erspart. Bei vielen Menschen löst der Anblick von Insekten ein unangenehmes Kribbeln unter der Haut aus. Aber man muss sie ja zum Glück nicht selber essen, oder?

Wenn es nach der Meinung der Welternährungsorganisation FAO geht, kann die wachsende Menschheit in Zukunft ohne den Verzehr von Insekten nicht mehr satt werden. Was in Ländern wie Thailand, China oder Afrika bereits weitestgehend normal ist, soll auch in den westlichen Ländern irgendwann Einzug erhalten. Laut dem FAO-Bericht „Humans Bite Back“ gibt es weltweit mehr als 1400 essbare Insektenarten.

Insekten sind nährstoffreich und umweltschonend

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Ein Start-up aus Israel produziert aus kleinen Fruchtfliegen-Maden hochwertiges Proteinpulver und Öl für die Nahrungsmittelindustrie. Aus dem Madenmehl kann Brot, Pasta oder Müsli hergestellt werden.

Quelle: Reuters

Viel Potenzial also, um von normalem Fleischverzehr auf Mehlwürmer und Konsorten umzusteigen. „Der überwiegende Teil der Insekten liefert, genau wie andere tierische Lebensmittel auch, einen guten Anteil Proteine. Sie sind fast frei von Kohlenhydraten, äußerst fett- und somit cholesterinarm sowie reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen“, sagt der medizinische Ernährungsberater Jens Hofmann aus Rostock.

Auch die FAO verweist in ihrem 240 Seiten langen Bericht darauf, dass Insekten reich an Nährstoffen sind. Außerdem könne die enorme Menge an Treibhausgasen, die bei moderner Massentierhaltung von Vieh entsteht, verringert werden.

Dies bestätigt auch die Universität Wageningen in einer 2011 erschienenen Studie: Ein Schwein produziert zehn bis hundert Mal mehr Treibhausgase pro Kilogramm Wachstum als zum Beispiel Mehlwürmer“, schreiben die Experten in ihrem Bericht. Ein anderer Vorteil von Insekten im Gegensatz zu Säugetieren sei, dass sie ihre Nahrung schneller in Fleisch umsetzen.

In Thailand ist die Insektenzucht Tradition

In Thailand hat die Kommerzialisierung, wenn auch im kleinen Rahmen, bereits begonnen. Hier werden Käfer, Raupen und anderes Getier nicht mehr nur im Wald und auf Feldern gesammelt. Laut FAO betreiben etwa 15000 Menschen mit einfachsten Mitteln kleine Insektenzuchten – seit 1999 wächst das Geschäft.

Die Insekten können von einer Familie alleine als Nebenprojekt gezüchtet werden und bringen so zusätzliches Einkommen. Der Verzehr von Insekten hat hier jedoch nicht unbedingt etwas mit Armut zu tun, sondern mit Tradition. Zu einigen Jahreszeiten ist die Nachfrage so groß, dass aus anderen Ländern importiert werden muss.

In Deutschland eher als Mutprobe angesehen

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Quelle: Die Welt/Ozy

Jungunternehmer wie der Student Harman Singh Johar von der Universität von Georgia in Athens wollen den aufkeimenden Insektenkult in die USA holen. Der 21-Jährige studiert Insektenkunde und will mit seiner noch jungen Firma „World Entomophagy“ Insekten einer breiten Masse als Nahrungsmittel zugänglich machen und sie im industriellen Maßstab züchten. Momentan muss jedoch noch der Schrank in seinem Studentenzimmer als Insektenaufzuchtsstation herhalten.

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Auch in Deutschland erfreuen sich Insekten immer größerer Beliebtheit. Dank Fernsehshows wie etwa dem Dschungelcamp wollen viele Bundesbürger sich dem Nervenkitzel hingeben und selbst einmal Heuschrecken, Maden oder Mehlwürmer probieren. Neben einigen Restaurants gibt es auch Internet-Shops, die einem den Knabberspaß direkt nach Hause schicken.

Braidy Snack etwa vertreibt seit 2009 vom Rhino-Käfer bis zum Skorpion alles, was das Insektenherz begehrt. „Die Nachfrage ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen – Heuschrecken und Skorpione gehen besonders gut“, sagt Thomas Knack, Inhaber des Shops. Die Tiere werden von kleinen Farmen aus Thailand und Kambodscha importiert und fertig gewürzt in kleinen Tütchen verkauft.

Für die meisten Kunden stellt der Insektenverzehr jedoch ein einmaliges Erlebnis dar: „Etwa sieben Prozent unserer Kunden bestellen regelmäßig, für alle anderen sind die Insekten mehr Partyspaß oder Mutprobe“, sagt Knack. Er gehe jedoch davon aus, dass Insekten sich vom Snack zu einem ernst zunehmenden Bestandteil unseres Speiseplans entwickeln könnten.

Industrielle Insektenzucht technisch kaum möglich

Dass es bisher jedoch kein deutsches Unternehmen gibt, welches Insekten für den menschlichen Verzehr industriell herstellt, zeigt die Probleme, die mit den kleinen Krabblern einhergehen. „Wenn man Insekten im industriellen Maßstab züchtet, bedeutet das Abermillionen von Tiere auf engstem Raum – was den Einsatz von Medikamenten sehr wahrscheinlich macht. Wir wissen nicht, von welchen Krankheiten diese Tiere alle befallen werden und welche Hygieneprobleme wir uns bei einer Massenproduktion einfangen“, sagt Professor Dr. Wilhelm Windisch vom Lehrstuhl für Tierernährung an der TU München.

Für sehr überbewertet hält Windisch den in vielen Publikationen angepriesenen Eiweißgehalt: „Einen großen Teil des vermeintlichen Eiweißgehalts vieler Insekten macht das Chitin aus. Es wird bei der Analyse irrtümlich miterfasst, ist jedoch selbst kein Eiweiß und hat auch sonst keinen Nährwert. Ohne das Chitin enthalten Insekten ähnliche Gehalte und Qualitäten an Eiweiß wie andere Nutztiere auch“, so Windisch.

Insekten sind keine Müllschlucker

Außerdem dürfe man nicht davon ausgehen, dass man Insekten zur Erzeugung von Lebensmitteln einfach mit irgendwelchen Abfällen füttern könne. Sie brauchen, wie alle anderen Lebewesen auch, hochwertige und hygienisch einwandfreie Nahrung, damit sie wachsen und gedeihen.

Erst dann kommen sie aus der Sicht der Lebensmittelsicherheit überhaupt als potenzielle Nahrung für den Menschen in Frage. „Wahrscheinlich müsste man Berge von Salat anbauen. Es wäre dann wohl effizienter, diesen Salat gleich selbst zu essen“, sagt Windisch.

Was die Zukunft bringt

Würmer und Grillen - Nahrungsmittel der Zukunft?

Kostengünstig und ressourcenschonend sollen sie sein: Insekten gelten als Nahrungsmittel der Zukunft. Doch können Käfer und Grillen sich durchsetzen? Unternehmer Folke Dammann glaubt daran.

Quelle: Die Welt

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Kommen Insekten also in absehbarer Zukunft doch nicht auf unseren Speiseplan? „Da das gewohnte und herkömmliche Angebot nationaler und internationaler Produkte in unseren Supermärkten äußerst umfangreich und nahezu unübersichtlich geworden ist, wird sich der insektenhaltige Speiseplan als Standard wohl eher nicht etablieren“, sagt Jens Hofmann.

Darüber hinaus gebe es momentan leider immer noch zu wenige Belege, die aussagekräftige Ergebnisse über Nährstoffanteile von Insekten wiedergeben.

Bei all den Vorteilen, die Insekten bezogen auf den verminderten Ausstoß von Treibhausgasen auch bieten mögen, wird es in den nächsten Jahren somit wahrscheinlich nicht möglich sein, sie unseren Gefilden im großen Stil zugänglich zu machen.

Wer weiterhin ganzjährlich nicht auf lebende Kriecher verzichten will, dem bleibt auch in absehbarer Zukunft der Weg in die Zoohandlung nicht erspart – vorbei an den Reptilien, hin zu den kleinen Plastikschälchen.

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