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Wissenschaft Biologische Hirnleistung

Motivationsprobleme belasten geistige Fitness

Albert Einstein als hochbegabter Knabe und als Erwachsener: Seine spezielle Relativitätstheorie veröffentlichte er mit 26 Jahren Albert Einstein als hochbegabter Knabe und als Erwachsener: Seine spezielle Relativitätstheorie veröffentlichte er mit 26 Jahren
Albert Einstein als hochbegabter Knabe und als Erwachsener: Seine spezielle Relativitätstheorie veröffentlichte er mit 26 Jahren
Quelle: dpa
Im frühen Erwachsenenalter erreicht das Gehirn den Zenit seiner Leistungskraft. Im Alter hängen geistige Glanzleistungen indes stark vom Antrieb ab.

Das Alter des Gehirns ist vorrangig Kopfsache. Der Motivationsverlust bei älteren Menschen ist oft viel ausgeprägter als das tatsächliche Nachlassen der biologischen Hirnleistung. Wie schnell die geistigen Fähigkeiten letztendlich nachlassen, hängt von den Genen, unserer Lebensweise und von den Hormonen ab: Jeder kann also etwas gegen die eigene geistige Vergreisung tun.

Von Anfang an beeinflusst der Mensch sein Gehirn selbst. Denn es ist im Gegensatz zu anderen Organen nicht von Geburt an voll entwickelt. Neuronen, die Nervenzellen des Gehirns, müssen sich erst noch tausendfach mit ihresgleichen verknüpfen. Das passiert durch Lernprozesse. So besteht das Gehirn anfangs aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen. Jede einzelne dieser Zellen steht zunächst mit 2500 anderen Nervenzellen in Kontakt.

Bereits im Alter von drei Jahren hat sich die Zahl der synaptischen Kontakte auf 15.000 versechsfacht. Im fünften Lebensjahr ist dann die Merkfähigkeit des Kindes besonders gut. Zu Anfang der Pubertät, im Alter von elf oder zwölf Jahren, beginnen die Jugendlichen, logisch und abstrakt zu denken.

Im Laufe der weiteren Entwicklungen verfestigen sich die viel genutzten Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen und wachsen zu Gedankenautobahnen heran. Die ungenutzten Seitenstraßen verfallen hingegen. Von den ehemals 15.000 Verknüpfungen bleiben nur die 10.000 übrig, die wir auch tatsächlich brauchen.

Mitte 20 treten bereits die ersten Alterserscheinungen auf

Im frühen Erwachsenenalter ist die biologische Reifung unseres Gehirns abgeschlossen, und wir sind zu geistigen Höchstleistungen fähig. Albert Einstein veröffentlichte seine spezielle Relativitätstheorie mit 26 Jahren.

„Das ist fast eine Gesetzmäßigkeit. Die großen Entdeckungen durch Wissenschaftler erfolgen meistens in ihrer Jugendzeit, da sind sie oftmals noch Promovenden oder junge Assistenten“, erklärt der Gehirnforscher Gerald Wolf, emeritierter Professor der Universität Magdeburg. „Da ist das Hirn am kreativsten und auch am wenigsten belastet durch vorgeformte Wege. Es ist frei genug, auch über Kanalgrenzen hinwegzugehen und dabei eben die neuen Entdeckungen zu machen.“

Diese fruchtbare Phase ist leider nur von kurzer Dauer. Kaum ist unser Gehirn vollständig ausgereift, treten ab Mitte 20 die ersten Alterserscheinungen auf. Das Kurzzeitgedächtnis lässt nach. Auch Wortfindungsstörungen und ein vermindertes Reaktionsvermögen gehen unweigerlich mit dem Altern einher. Lässt die geistige Fähigkeit mit zunehmendem Alter jedoch ungewöhnlich schnell nach, sprechen Experten von Demenz.

„Man weiß heute gar nicht, wo hört das normale Altern auf, wo beginnt das krankhafte Altern“, sagt Professor Christian Behl, Altersforscher und Direktor des Instituts für Pathobiochemie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Individuell gebe es starke Unterschiede, auch Schulbildung und Intelligenz spielten eine Rolle.

Auch die Geschlechter altern geistig unterschiedlich

Östrogenmangel führt bei Frauen nach der Menopause oft zu Gedächtnisproblemen. Führt man die Hormone dem Körper künstlich zu, können die Wechseljahrsbeschwerden abgemildert werden. „Man hat festgestellt, dass Frauen, die eine Hormonersatztherapie machen, eine verbesserte Gehirnleistung haben“, sagt Behl. Der Grund dafür ist offenbar, dass Östrogene die Gehirndurchblutung verbessern, die Vernetzung der Nervenzellen untereinander fördern und das Kurzzeitgedächtnis verbessern.

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Jeder kann seine Gehirnleistung im Alter aufrechterhalten – mit recht einfachen Mitteln: einer gesunden Ernährung und ausreichend Bewegung. Rauchen, Alkohol oder zu viel Nahrung hingegen schaden dem Gehirn. Die Neurologin Agnes Flöel von der Universität Münster und ihr Team zeigten, wie eine um 30 Prozent verringerte Kalorienzufuhr auf das Gehirn wirkt.

Dazu setzten die Forscher Menschen zwischen 50 und 80 Jahren auf eine Diät. Schon nach drei Monaten war die Gehirnleistung der Kaloriensparer deutlich besser als die der Normalesser. „Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht“, sagt aber Christian Behl von der Uni Mainz.

Auf alles verzichten sollte man jedenfalls nicht. Der älteste Mensch der Welt, die Französin Jeanne Calment, wurde 122 Jahre alt. Sie trank gerne ein Glas Wein und gab erst mit 119 das Rauchen auf. Bis zuletzt war sie geistig fit. „Ein Glas Wein oder Bier mag eher nützen als schaden. Eifernde Gesundheitsapostel bringen sich um die Lebensfreude, und die ist ein wichtiges Gesundheitspflegemittel“, bestätigt Wolf.

Wirkung von Gehirnjogging ist umstritten

Ein paar weitere einfache und zugleich sehr wirksame Tricks, das Gehirn leistungsfähig zu halten: Statt fernzusehen, regen sozialen Kontakte die Synapsenbildung an. Wer im Alter noch ein Instrument spielt oder regelmäßig lange Texte liest, tut auch etwas für seine geistige Fitness. Viel gepriesen ist das sogenannte Gehirnjogging. Mit Computersoftware, Sudokus oder Kreuzworträtseln soll so die geistige Leistungsfähigkeit gesteigert werden.

Während Christian Behl sehr viel davon hält, ist Gerald Wolf skeptisch. Durch regelmäßiges „Polieren der Hirnwindungen“ lasse sich zwar die Fähigkeit für diese speziellen Disziplinen verbessern, kaum jedoch die allgemeine Hirnleistung, auf die es im praktischen Leben ankomme, sagt er.

„Eine andere Möglichkeit ist – zynisch ausgedrückt –, sich Eltern auszusuchen, die im Alter noch immer hohe geistige Potenzen haben beziehungsweise hatten. Mit anderen Worten: Der genetische Faktor ist für den Alternsprozess von entscheidender Bedeutung“, sagt Wolf.

Um den Prozess der geistigen Vergreisung zu stoppen, wäre es hilfreich, die Gründe für den Alterungsprozess zu kennen. Doch trotz intensiver Forschung seien diese bis heute nicht eindeutig zu erklären, bedauert Wolf. Christian Behl vergleicht die Alterung mit dem „Verrosten von Dingen“. „Das Gros der Nervenzellen, 95 bis 98 Prozent, bleibt zeitlebens erhalten“, sagt er – da komme es zu Abnutzungserscheinungen.

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Zu beobachten sei, dass die Leistungsfähigkeit der Zellen abnehme und damit auch ihre Bereitschaft, Neurotransmitter zu bilden, erklärt Wolf. Neurotransmitter sind Botenstoffe, die Informationshäppchen von einer Nervenzelle zur anderen übertragen. Gibt es von diesen Botenstoffen zu wenig, werden Informationen nicht mehr so schnell weitergeleitet.

Gleichzeitig werden Informationen, die wir uns merken wollen, nicht gespeichert. Letzteres ist der Fall, wenn zu wenig von dem Transmitter Acetylcholin gebildet wird. Dieser spielt im Hippocampus eine zentrale Rolle beim Lernen. In dieser Hirnstruktur entscheidet sich, ob eine Information im Großhirn gespeichert wird oder nicht. Im Normalfall bleibt bereits Bekanntes draußen, und neue Informationen werden eingespeichert.

Geistige Glanzleistungen gibt es auch im Alter

Die neuen Informationen werden dabei von Nervenzellen erkannt, die Acetylcholin freisetzen. Wird allerdings zu wenig von dem Botenstoff freigesetzt, werden irrtümlicherweise neue Informationen als nicht relevant und bereits bekannt eingestuft. Zu unserem Ärger vergessen wir dann das eben Gelernte. „Das ist zumindest ein Weg der Erklärung, warum es in zunehmendem Alter zur Nichtspeicherung kommt“, sagt Wolf.

Dennoch gibt es geistige Glanzleistungen, gerade im höheren Alter. „Der Altersweise verdankt seine Fähigkeit einer fortwährenden Ansammlung von Wissen und Erfahrung, die er durch Denk- und Beobachtungsroutinen auf Hochglanz zu schleifen vermag“, sagt Gerald Wolf.

Zur Altersweisheit gehört auch die Gelassenheit älterer Menschen. So leicht bringt sie nichts aus der Ruhe. Durch ihren Erfahrungsschatz wissen sie schon, wie sich Situationen entwickeln, und können angemessen reagieren. „Das merkt man auch daran, dass Großeltern mit ihren Enkeln oftmals sehr viel adäquater umzugehen vermögen, als sie mit ihren Kindern umgegangen sind“, sagt Wolf und fügt hinzu: „Das ist sicher eine Qualitätsverbesserung.“ Es ist nicht alles schlecht am Älterwerden.

Auch ein altes Gehirn kann sich noch stark umstrukturieren. Das zeigt sich immer wieder bei Schlaganfallpatienten. Bei ihnen ist oft das Sprachzentrum geschädigt, sie können plötzlich nicht mehr sprechen. Nach einiger Zeit und viel Übung kehrt die Sprache zurück, selbst bei 70- oder 80-Jährigen. Das Gehirn ist so plastisch, dass andere Bereiche im Gehirn die Aufgaben des Sprachzentrums übernehmen. Ein Umlernprozess findet statt.

Neben diesen rein körperlichen Ursachen für unsere abnehmende Denkleistung im Alter kennt Gerald Wolf noch einen anderen wichtigen Faktor. „Bei alten Menschen ist das Motivationsproblem oft viel ausgeprägter als das des Nachlassens der biologischen Hirnleistung. Sie haben immer weniger Lust, sich dem Leben zuzuwenden, und meist stellt sie unsere Gesellschaft ja auch an den Rand.

Werden die Alten aber durch besondere Erlebnisse aus ihrem Trott herausgelöst, treten regelmäßig Fähigkeiten zutage, die man ihnen gar nicht mehr zugetraut hatte.“ Geselligkeit, Familienkontakt, Freunde und, sofern noch möglich, Reisen seien regelrechte Zaubermittel. All das zeigt, dass wir dem Altern keineswegs hilflos ausgeliefert sind.

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